Allgemeinverfügung der Hansestadt Lübeck
über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 auf dem Gebiet der Hansestadt Lübeck
aufgrund der Überschreitung des Inzidenzwertes von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner:innen in den letzten sieben Tagen
Gemäß § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) in Verbindung mit § 106 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein (Landesverwaltungsgesetz – LVwG) wird folgende Allgemeinverfügung erlassen:
Diese Allgemeinverfügung gilt ab dem 27.10.2020 bis einschließlich16.11.2020. Eine Erweiterung, Verlängerung oder ein vorzeitiger Widerruf sind in Abhängigkeit zum Infektionsgeschehen möglich.
Diese Allgemeinverfügung ist gemäß § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG sofort vollziehbar
Begründung:
Rechtsgrundlage für die getroffene Maßnahme ist § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 lfSG.
Danach trifft die zuständige Behörde in dem Fall, dass Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder es sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Nach Satz 2 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 lfSG genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen.
Die sehr weite Eingriffsermächtigung des § 28 Abs. 1 Satz 1 lfSG beschränkt sich nicht allein auf Maßnahmen gegenüber Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern, sondern wie sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergibt, dürfen auch „Nichtstörer", d.h. Personen bei denen noch nicht einmal ein Ansteckungsverdacht besteht, in Anspruch genommen werden.
Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der verfügten Beschränkung ist der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz von Bedeutung, dass an die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer er ist. Die Notwendigkeit einer Abwägung ergibt sich auch aus dem Ziel des Infektionsschutzgesetzes, eine effektive Gefahrenabwehr zu ermöglichen (§ 1 Abs. 1, § 28 Abs. 1 lfSG) und dem Umstand, dass Krankheiten nach ihrem Ansteckungsrisiko und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen von unterschiedlicher Schwere sind. Angesichts dessen ist ein am Gefährdungsgrad der jeweiligen Krankheit orientierter flexibler Maßstab heranzuziehen. Nach der Einschätzung des vom Gesetzgeber in § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 lfSG hierzu vorrangig berufenen Robert-KochInstitutes wird die Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung derzeit als insgesamt hoch, für Risikogruppen als sehr hoch eingeschätzt. Es handelt sich danach nicht um eine mit einer Grippeepidemie vergleichbare Situation, sondern es liegt eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Lage vor.
Vor dem Hintergrund der aktuell wieder gestiegenen Fallzahlen der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus im gesamten Bundesgebiet, im Land Schleswig-Holstein und der Anzahl an Erkrankungen an COVID-19 in der Hansestadt Lübeck müssen unverzüglich wirksame Maßnahmen zur Verringerung der Ausbreitungsdynamik und zur Unterbrechung von Infektionsketten ergriffen werden. Effektive Maßnahmen sind dringend notwendig, um im Interesse des Gesundheitsschutzes die dauerhafte Aufrechterhaltung der wesentlichen Funktionen des Gesundheitssystems sowie der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Gebiet der Hansestadt Lübeck sicherzustellen. Die großflächige Unterbrechung, Eindämmung bzw. Verzögerung der Ausbreitung des neuen Erregers stellt derzeit das einzig wirksame Vorgehen dar, um diese Ziele zu erreichen.
In der Hansestadt Lübeck hat die Zahl der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus in den letzten Tagen erheblich zugenommen. Die 7-Tage Inzidenz der SARS-CoV-2 Fälle liegt aktuell (26.10.2020) bei 44,8 Fällen je 100.000 Einwohner. Dabei sind nicht mehr alle Infektionsketten nachvollziehbar. Insbesondere die Ansteckungsquelle lässt sich nicht ermitteln. Das Ausbruchsgeschehen ist nicht mehr nur auf einzelne Orte oder auf Personengruppen beschränkt.
Dies lässt erkennen, dass sich das SARS-CoV-2-Virus diffus und flächendeckend in der Hansestadt Lübeck ausbreitet. Zur Eindämmung des Infektionsgeschehens reicht es deshalb nicht mehr aus, an einzelnen Infektionsschwerpunkten Maßnahmen zu ergreifen. Weitergehende flächendeckende Maßnahmen zur Eindämmung sind im Rahmen der getroffenen Regelungen erforderlich.
Die getroffene Anordnung des Tragens von Mund-Nasen-Bedeckungen ist insbesondere erforderlich, weil Personen bereits infektiös sind, bevor diese selbst Krankheitssymptome zeigen. Es kann deshalb vorkommen, dass Personen durch das Sprechen und Atmen virusbelastete Aerosole ausscheiden, bevor eine Infektion bei diesen Personen selbst festgestellt wird. Aufgrund des dadurch verursachten Risikos einer verdeckten Verbreitung des SARS-CoV-2 sind die angeordneten Maßnahmen bereits jetzt zu treffen. Die angeordneten Maßnahmen wirken frühzeitig im direkten Kontakt zwischen den Personen.
Die angeordnete Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung durch diese Allgemeinverfügung stellt einen Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Bürgerinnen und Bürger dar. Weniger einschneidende gleich geeignete Mittel sind dabei nicht ersichtlich. Die Anordnung ist notwendig, weil die Pandemie nach wie vor nicht in dem Umfang zum Stillstand gebracht werden konnte, der Beschränkungen entbehrlich gemacht hätte. Vielmehr ist in den letzten Tagen und Wochen ein stadtweiter, aber auch bundesweiter kontinuierlicher Anstieg der Infektionsfälle festzustellen, den es rechtzeitig zu unterbrechen gilt, um die Bevölkerung vor den Folgen einer Infektion zu schützen und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Es bedarf deshalb auch grundrechtseinschränkender Maßnahmen zu ihrer Eindämmung.
Die hier angeordneten Maßnahmen stellen sich hierbei als verhältnismäßig dar. Die durch Anlage 1 festgelegten Bereiche im öffentlichen Raum der Lübecker Altstadt einschließlich der Brückenzufahrten und die im Stadtteil Travemünde näher bezeichneten Flächen sind bei relativer räumlicher Enge regelmäßig intensiv frequentiert von Menschen aus den unterschiedlichsten Anlässen, vorrangig Tourismus, Einkäufe, Kultur und Gaststättenbesuche, daneben die wochentäglich insbesondere in der Lübecker Altstadt intensiven Menschenansammlungen durch Schulbesuche und Wege von und zur Arbeit. Entsprechendes gilt aus den vorgenannten Anlässen für den Zentralen Omnibusbahnhof und den Bahnhofsvorplatz. In den festgelegten Bereichen kommt es regelmäßig zu einer Dichte von Menschenansammlungen, die die Wahrung von Abständen im Sinne des § 2 Abs. 1 Landesverordnung nicht mehr ermöglicht. Durch eine Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in den bezeichneten Bereichen können Infektionsketten wirksam unterbrochen werden, den Bürgerinnen und Bürgern bleibt die Möglichkeit zur Teilnahme am öffentlichen Leben dennoch erhalten. Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Meinungsstand ist die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung eine geeignete Schutzmaßnahme, um die Weiterverbreitung von SARS-CoV-2 zu verhindern. Selbst einfache Stoffmasken sind bei korrekter Anwendung geeignet, Tröpfchen des Trägers beim Sprechen, Husten und Niesen aufzufangen und andere so vor einer Infektion zu schützen. Deshalb kann selbst das Tragen einer Behelfsmaske bei bereits erkrankten Personen dazu geeignet sein, das Risiko der Ansteckung anderer Personen zu reduzieren. Angesichts des Umstandes, dass nicht jeder, der mit SARS-CoV-2 infiziert ist, dies auch bemerkt, er aber trotzdem Erreger übertragen kann, kann das Tragen von Behelfsmasken das Übertragungsrisiko vermindern. Die durch das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung bewirkte Belastung des Einzelnen ist demgegenüber nur gering.
Grundsätzlich bleiben eine gute Händehygiene, Einhalten von Husten- und Niesregeln und das Abstandhalten von mindestens 1,5 Metern die wichtigsten und effektivsten Maßnahmen. In Situationen jedoch, in denen Maßnahmen der physischen Distanzierung nur schwer eingehalten werden können, ist der Einsatz von Mund-Nasen-Bedeckungen ein zusätzlicher Baustein, um die Ausbreitungsgeschwindigkeit von COVID-19 in der Bevölkerung zu reduzieren. Denn bereits 1 bis 3 Tage vor Auftreten der COVID-19-Symptome kann es zu einer Ausscheidung von hohen Virusmengen kommen. Eine teilweise Reduktion dieser unbemerkten Übertragung von infektiösen Tröpfchen durch das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen kann zu einer weiteren Verlangsamung der Ausbreitung beitragen. Dies betrifft besonders die Übertragung im öffentlichen Raum, wo mehrere Menschen zusammentreffen und sich dort länger aufhalten oder der physische· Abstand von mindestens 1,5 Meter nicht immer eingehalten werden kann. Weniger einschneidende Maßnahmen sind nicht ersichtlich.
Die Anordnungen stellen nach § 28 Abs. 1, Satz 1 Infektionsschutzgesetz (lfSG), wie oben erläutert, eine notwendige Schutzmaßnahme zum Schutz der Allgemeinheit vor einer weiteren unkontrollierbaren Weiterverbreitung der Infektionen mit dem COVID-19 Virus in der Bevölkerung dar und dienen einem möglichst weitgehenden Gesundheitsschutz.
Unter den zur Verfügung stehenden Schutzmaßnahmen, sind die Anordnungen, neben einem Verbot sämtlicher Veranstaltungen, die einzigen möglichen Schutzmaßnahmen, die zur Verfügung stehen. Ein Verbot sämtlicher Veranstaltungen wiegt ungleich schwerer und ist aufgrund der derzeitigen Infektionslage noch nicht erforderlich. Eine rechtzeitige Beschränkung dient vielmehr dazu, ein solches vollständiges Verbot möglichst zu vermeiden.
Angesichts des erhöhten Risikos und der proportional höheren Anzahl an möglichen Infizierten kann es bei jetzt nach der Landesverordnung zulässigen Veranstaltungen nicht mehr bei reinen Empfehlungen zur Reduzierung der Teilnehmerzahl bleiben.
Da in der Vergangenheit insbesondere größere Feiergesellschaften lokal maßgeblich zum Infektionsgeschehen beigetragen haben, sind zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung weitere Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet, erforderlich und angemessen sind, dass lokale Infektionsgeschehen einzugrenzen. Die unter Ziffer 4 getroffenen Anordnungen sind hierzu geeignet, weil bundesweit ein Anstieg der Infektionszahlen häufig auf private Feierlichkeiten im geselligen Bereich zurückzuführen ist. Auch sind sie erforderlich, weil gerade größere Feste zu einer erheblich höheren Zahl an Infizierten geführt haben.
Für Veranstaltungen im öffentlichen Raum mit Gruppenaktivität sowie für Veranstaltungen im privaten Wohnraum und dazugehörigem befriedeten Besitztum ist es weiter grundsätzlich möglich, diese durchzuführen, die hier getroffenen Anordnungen stellen im Vergleich zum vollständigen Verbot eine deutlich weniger belastende Vorgabe dar. Notwendig ist hierbei eine Abwägung in einem strukturierten Risikomanagementprozess, um die konkret zu ergreifenden Maßnahmen zu ermitteln. Hiervon ausgehend ist eine weitere Differenzierung der Veranstaltungen anhand ihrer Größe notwendig. Angesichts des mit steigender Personenzahl ebenfalls steigenden Verbreitungsrisikos erscheint es zur sachgerechten Handhabung der Regelungen sinnvoll bei Veranstaltungen überwiegend zumindest die Begrenzungen aus der Corona-Bekämpfungsverordnung vom 26. Juni 2020 einschließlich der ab dem 24. August 2020 geltenden Änderungen wieder einzuführen.
Es ist erwiesen, dass mit zunehmendem Alkoholgenus und der einhergehenden enthemmenden Wirkung von Alkohol Abstands- und Hygieneregeln weniger beachtet werden und damit das Infektionsrisiko steigt. Das Schließen der Gastronomiebetriebe täglich ab 23:00 Uhr bis zum Folgetag 06:00 Uhr begrenzt den Alkoholkonsum. Dadurch wird den Betreibern der Gastronomiebetriebe zwar wirtschaftlich geschadet, allerdings wird es ihnen weiterhin ermöglicht das Gewerbe, wenn auch im reduzierten Umfang zu betreiben. Die Lieferung und Abholung von Speisen bleibt hiervon unberührt und zulässig.
Die Rechte der Gäste der Gastronomiebetriebe auf Besuch und Alkoholkonsum bis zum sonst üblichen Betriebsschluss werden ebenfalls eingeschränkt. Die Einschränkungen für Betreiber und Gäste sind jedoch zum Schutz der Bevölkerung vor der Ansteckung mit dem SARS-CoV-2 Virus erforderlich. Eine weniger einschränkende (mildere), aber dabei gleich geeignete Maßnahme als die Anordnung der Schließzeit ist nicht ersichtlich.
Diese Allgemeinverfügung gilt ab dem 27.10.2020 bis einschließlich dem 16.11.2020 Eine Erweiterung, Verlängerung oder ein vorzeitiger Widerruf sind in Abhängigkeit zum Infektionsgeschehen möglich.
Die Allgemeinverfügung findet ihre Grundlage in § 28 Abs. 1 S. 1 und 2 lfSG. Zuwiderhandlungen sind daher bußgeldbewehrt nach § 73 Absatz 1a Nr. 6 IfSG.
Die Anordnung ist gemäß § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG sofort vollziehbar. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Allgemeinverfügung haben keine aufschiebende Wirkung.
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen diese Allgemeinverfügung kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden. Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift bei der Hansestadt Lübeck, vertreten durch den Bürgermeister, Bereich Gesundheitsamt, Sophienstraße 2-8, 23560 Lübeck einzulegen oder durch De-Mail in der Sendevariante mit bestätigter sicherer Anmeldung nach § 5 Abs. 5 DE-Mail-Gesetz an info@luebeck.de-mail.de.
Widerspruch und Anfechtungsklage gegen diese Allgemeinverfügung haben keine aufschiebende Wirkung.
Lübeck, den 26.10.2020
Jan Lindenau
Bürgermeister
Anlage 1 zur Allgemeinverfügung der Hansestadt Lübeck
über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 auf dem Gebiet der Hansestadt Lübeck aufgrund der Überschreitung des Inzidenzwertes von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner:innen in den letzten sieben Tagen vom 26.10.2020
In den nachfolgend bezeichneten bzw. gekennzeichneten öffentlich zugänglichen Bereichen ist das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung gemäß § 2 Abs. 5 der Landesverordnung zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2, ersatzverkündet am 1.10.2020, zuletzt geändert durch Ersatzverkündung am 22.10.2020 (im Folgenden: Landesverordnung), verpflichtend:
Auf der gesamten Lübecker Altstadtinsel umgeben von den Straßen
- Kanalstraße
- An der Untertrave
- An der Obertrave
- Wallanlagen, Mühlen- und Krähenteich
sowie den zuführenden Brücken
Außerhalb der Lübecker Altstadtinsel in den Bereichen
Hansestraße, Kreuzweg, Konrad-Adenauer-Straße
Im Stadtteil Lübeck-Travemünde und dem Priwall in folgenden Bereichen / Straßen: